Meine dunkelsten Tage


1. Krankenhausaufenthalt / November 2017

3. Krankenhausaufenthalt /

März 2018  


Der heutige Blogpost ist sehr persönlich und kostet mich viel Überwindung, dennoch möchte ich Ihn Euch nicht vorenthalten.

 

Wie viele von Euch vielleicht wissen bin ich eigentlich ein geborener Optimist. Seit ich das Kortison nehme und merke, dass es mir zunehmend besser geht, kommt dieser Optimismus auch wieder zurück. Trotzdem möchte ich heute über meine dunkelsten Tage sprechen, denn die gehörten in meinen letzten 9 Monaten leider auch häufig dazu.

 

Krebs ist kein Kindergeburtstag. Das weiß jeder, der es selbst durchleben musste oder einen Angehörigen auf diesem Weg begleitet hat. 

Meinen ersten Chemo-Block im November / Dezember habe ich verhältnismäßig gut überstanden. Allerdings kämpfte ich bereits ab Tag 1 nicht nur mit Übelkeit, sondern musste mich täglich (mehrfach!) übergeben. Das lag nicht nur an der Chemotherapie selbst, sondern auch an einem bestimmten Medikament das ich einnehmen musste. 

Dieses ständige Erbrechen sollte mich auch weitere 6 Monate begleiten. Dabei reden wir tatsächlich von mehrmaligem Erbrechen jeden Tag. Ich hatte keinen Hunger und musste teilweise schon beim Geruch von Essen die Tüte suchen. Das belastete mich vor allem psychisch. So gern hätte ich Nahrung zu mir nehmen wollen. Egal was, aber ich konnte es nicht mal riechen, geschweige denn schmecken.. Die "Kotztüte" wurde zu meinem stetigen Begleiter. Ob auf Station, zu Hause oder wenn ich irgendwohin unterwegs war – immer waren mindestens 2 Tüten mit dabei. 

 

Mein zweiter Chemo-Block folgte dann direkt Anfang des Jahres 2018. Dieser verlief leider deutlich schlechter. Neben all dem Erbrechen kamen noch ständiges Fieber, Müdigkeit und Komplikationen der Therapie hinzu. Ich erhielt ein Mittel namens MTX (kurz für Methotrexat), das mit einigen Nebenwirkungen einhergeht. Und diese durfte ich in der ganzen Bandbreite mitnehmen. In erster Linie zerstört das Mittel sämtliche Schleimhäute im Körper. So auch bei mir. Es begann im Mund (ich konnte nichts mehr trinken und außerdem bildete sich ein Pilz auf meiner Speiseröhre, der jeden Krümel schmerzhaft machte), daher musste ich künstlich ernährt werden. Weiter ging es mit dem Magen- und Darmtrakt, sodass ich unter Durchfällen und (weiterhin täglichem) Erbrechen litt. Diese Entzündungen breiteten sich bis zum Po aus, was dazu führte, dass ich nicht mehr im Bett liegen konnte, einen Schwimmring brauchte und mir ein Katheter gelegt werden musste, denn mein Körper konnte einfach kein Wasser mehr lassen vor Schmerzen! 

Das war eine Zeit, in der ich über mehrere Wochen das Bett nicht mehr verlassen konnte und so starke Schmerzen hatte, dass selbst Morphium nicht viel ausrichten konnte. 

Zu allem Übel wachte ich eines morgens auf und hatte den typischen "Chemo-Moment" vor dem mich alle gewarnt hatten: mein gesamtes Kissen war voll mit meinen Haaren also fuhr ich mit einer Hand über meinen Kopf und siehe da: ein riesiges Büschel löste sich einfach so. Ich wusste, jetzt war der Tag gekommen an dem ich meinen Haaren Lebewohl sagen müsste. Als die Schwester den Rasierer ansetzte kamen mir tatsächlich die Tränen, während ich mit Fieber auf einem Stuhl vor dem Spiegel saß und meinen Katheter in der Hand hielt. Ich weiß noch, dass es draußen schneite und ich einfach nur kraftlos, einsam und traurig war. Ich konnte mir nicht vorstellen, tatsächlich irgendwann gesund und glücklich zu sein. 

 

Am Tag meiner Entlassung war ich noch lange nicht fit, aber einfach nur heilfroh, wieder nach Hause kommen zu dürfen. Die Tasche lag gepackt auf dem Bett, als ich von jetzt auf gleich Spastiken im Kiefer hatte. Mein gesamter Kiefer stand schief, die Zähne knallten wie wild aufeinander, bis es zu bluten begann und ich konnte nicht mehr sprechen. Niemand wusste was los war und woher diese Reaktion kommen würde. Die Spastiken gingen von selbst nach etwa 30 min weg, traten im Verlauf des Tages aber noch einige Male auf. Beim durchlesen diverser Beipackzettel stellte sich heraus, dass es die Nebenwirkung (als "sehr selten vorkommend" beschrieben) eines Medikaments gegen Erbrechen war, also verzichtete ich ab diesem Moment darauf und nahm lieber in Kauf, wieder täglich erbrechen zu müssen. 

 

Block Nr. 3 war dann meine Stammzelltransplantation. Anfangs verlief alles erstaunlich gut und ich musste mich tatsächlich höchstens einmal pro Tag übergeben. Ich wurde mit Hochdosis-Chemo und einer Ganzkörper-Bestrahlung behandelt. Anschließend fand die Transplantation statt und ich erhielt erneut das Mittel "MTX" auf das ich bereits im zweiten Chemo-Block so schlecht reagierte. Da dieses Medikament aber fester Bestandteil der Therapie war, musste ich es wohl oder übel über mich ergehen lassen. Die Folgen waren fatal und man konnte nicht genau sagen, welches Medikament, welche Chemo oder Bestrahlung genau was auslöste: 

Wieder bekam ich Fieber, das sich über Tage nicht senken ließ. Ich erbrach mehrmals täglich und war zu schwach und müde, um mich auch nur einen Millimeter bewegen zu können. Unter der Dusche weinte ich vor Kraft-und Mutlosigkeit. Es kam zu Zwischen-und Nasenblutungen, die einfach nicht stoppen wollten. Außerdem bekam ich heftige Durchfälle mit Magenkrämpfen. Nach der MTX-Gabe reagierten meine Schleimhäute erneut, allerdings deutlich heftiger als im zweiten Block. Selbst der Arzt sprach davon "in seinen 8 Jahren auf Station nur einmal so einen heftigen Fall erlebt zu haben". Meine gesamte Mundregion war so geschwollen, wund und offen, dass ich nicht mehr Essen, Trinken und Sprechen konnte. Meine Zunge war so dick, dass ich keine Luft mehr bekam und Panikattacken erlitt. Morphium wirkte nicht gut genug – die Schmerzen wollten einfach nicht gehen und so wurde ich mit Palladon behandelt. Doch selbst mit diesem heftigen Schmerzmittel (es gehört zur Gruppe der stärksten Opiate) stufte ich meine Schmerzen immer noch zwischen 8 und 9 auf einer Skala bis 10 ein.

 

Das waren die Tage an denen ich lieber sterben wollte, statt weiterzukämpfen. 

 

Durch das Schmerzmittel hatte ich Halluzinationen und konnte aufgrund der Schmerzen insgesamt 20 Nächte lang nicht schlafen. Schlafmittel durfte mir nicht verabreicht werden, da die Gefahr bestand, dass sich etwas von der Wunde in meinem Mund lösen und in der Lunge verfangen könnte und das hätte das Ende für mich bedeuten können. 

Ich litt unter Zuckungen an Beinen und Armen, trat dadurch immer wieder gegen Bett und Schrank, wobei ich mich ebenfalls verletzte. Ich erbrach grünen Schleim mit Blut und wenn ich die Augen schloss, sah ich schmerzhafte Szenen vor mir, in denen ich mit dem Kopf gegen eine Wand schlug oder mir selbst ins Gesicht boxte. All das wurde durch die starken Schmerzen und Halluzinationen ausgelöst. 

 

Es waren Tage an denen mein Besuch kein Wort sagte, sondern nur weinend und/oder schockiert neben meinem Bett saß und meine Hand hielt. Tage an denen niemand, inklusive mir selbst, wusste, ob ich am nächsten Morgen noch aufwachen würde. 

 

Die letzten Nächte nach meiner Stammzelltransplantation auf Station schaffte ich nur dank meiner Mama, vieler Freunde, meiner Familie und Pflegern, die alle Unglaubliches geleistet haben. Jeden Abend kam jemand zu Besuch, der wartete bis ich eingeschlafen war, da ich so heftige Panikattacken und Traumata hatte, dass ich nicht allein sein wollte. 

 

Ich hoffe, Euch mit diesem Eintrag einen kleinen Einblick geben zu können. Auch wenn mein Blog anderen Mut machen und den Weg zur Genesung aufzeigen soll, so müssen meiner Meinung nach auch die dunklen Seiten beleuchtet werden. 

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Kommentare: 7
  • #1

    Mäggie (Mittwoch, 08 August 2018 16:15)

    Und auch diese Zeit hast du überstanden und hinter dich gebracht, du stärke Löwin!

  • #2

    Heike (Mittwoch, 08 August 2018 18:16)

    Liebe Gesa,

    Unvorstellbar, was durchgamacht hast. Mir fehlen die Worte. Es hat mich sehr berührt, wie du diese Zeit beschrieben hast. Es ist unglaublich.
    Ich bin froh, dass es dir gut geht und du positiv nach vorne schaust.
    Ganz sicher hilft dein Block anderen, die betroffen sind. Und du hast Recht: die dunklen Seiten müssen auch zur Sprache kommen.

    Am Wochenende war es sehr laut und man konnte nicht reden. Vielleicht sieht man sich bald wieder.

    Mach weiter so! Ich drück dich.

    LG, Heike

  • #3

    Line (Mittwoch, 08 August 2018 22:28)

    Ach gesa, beim lesen dieser Zeilen kamen mir wirklich die Tränen.. du bist so unglaublich stark. Ich denk an dich!

  • #4

    Chris (Freitag, 10 August 2018 23:17)

    Ich muss auch schon wieder heulen

  • #5

    Mark (Montag, 20 August 2018 11:58)

    Danke für deine Offenheit, Gesa. Ich wünsche dir weiterhin ganz viel Kraft!

  • #6

    Simone (Montag, 27 August 2018 20:09)

    Hallo Gesa, ich bin gerade durch Zufall auf Deinen Block gestossen und kann nicht aufhoeren zu lesen. Ich habe im November 2017 Stammzellen gespendet, darf aber meine Empfaengerin nicht kennen lernen. Ihr Herkunfstland verbietet es. Deshalb finde ich es gut, daß du auch die dunklen Zeiten beschreibst. Ich wuensche dir weiterhin eine guten Heilungsverlauf und ganz viel Kraft. Mach weiter so.

  • #7

    Didi (Montag, 04 März 2019 10:58)

    Hallo Gesa, ich selber habe auch eine Stammzellentransplantation hinter mich und finde es gut das mal jemand auch das erwähnt was auch passieren kann. ich habe noch immer mit starken Nebenwirkungen zu kämpfen und viele andere auch!!!
    Und es ist mal gut zu hören, dass das auch wieder aufhören kann. Das alleine macht schon Mut. Ich muss aber auch sagen, dass die Ärzte einen zumindest bei mir , mich nicht richtig aufgeklärt haben. (Was alles passieren kann) Nur in Kurzform. Also liebe Gesa , danke dafür.
    Dein Blog ist sehr schön und gut formuliert. Alles liebe und einen guten Heilungsverlauf.